Es war eine lange Fahrt von Port-au-Prince in die abgelegene Region von Beaumont im bergigen Süden von Haiti. Hier, wo es an so vielen lebensnotwendigen Dingen für die Menschen mangelt. Hier wo die Hilfe von Engineers Without Borders Karlsruhe e.V. dringend gebraucht werden könnte, um die Trinkwasserversorgung in der Region zu verbessern. Unser Besuch stand daher auch unter dem Stern, ein neues zweites Projekt in Haiti zu finden, für das wir uns in Zukunft einsetzen können.
Bei unserer Ankunft wurden wir im Waisenhaus von Pwojè men kontre Haiti – Deutschland e.V., ein Leuchtturmprojekt der Region Corail, herzlich empfangen. Wir verbrachten die darauffolgenden 3 Tage dort, um unser neues Projektumfeld kennen zu lernen und dabei die Hektik von Port-au-Prince für einige Zeit hinter uns zu lassen. Der Hilferuf aus Beaumont erreichte uns über die Gründerin von Pwojè men kontre Dr. Anke Brügmann. Durch veränderte Klimabedingungen während der vergangenen Jahre ist das Wasseraufkommen in Beaumont in den Regenzeiten so stark gesunken, dass die Versorgung gerade für die Kinder des Waisenhauses nicht mehr gesichert ist.
Mit den Erfahrungen, die wir beim Bau der Trinkwasserzisterne in Port-au-Prince gewonnen haben, erkannten wir schnell die Gründe für die Wasserprobleme in Beaumont. Der überwiegende Teil des Wassers der Region wird aus Quellen bezogen, die in unwegsamen Waldgebieten entspringen und nach wenigen hundert Metern wieder versickern. Die vor Jahren gebauten Quellfassungen haben eigentlich die Aufgabe, das Wasser direkt an der Quelle zu sammeln und vor Verunreinigungen zu schützen. Rohrleitungen führen anschließend in bewohnte Gebiete zu zentralen Wasserentnahmestellen.
Um uns selbst ein Bild über Zustand und Funktionstüchtigkeit der Quellfassungen zu machen, haben wir zwei Quellstandorte besucht. Zunächst suchten wir die Stelle auf, an der in unmittelbarer Nähe zum Waisenhaus von Pwojè men kontre Wasser aus Gesteinsschichten sickert und wo Hilfsorganisationen eine Quellfassung zur Wasserentnahme errichtet hatten. Leider mussten wir sehr schnell feststellen, dass die beteiligten Hilfsorganisationen offenbar nicht zum Abschluss ihrer Projekte gekommen waren und die Quellfassung seitdem nur eingeschränkt nutzbar ist. Weder kann ausreichend Wasser gesammelt werden, da die als Speicherkammer konzipierte Konstruktion große Löcher enthält. Noch wird das Wasser wirksam gegen Verunreinigungen geschützt. Das führt dazu, dass die Frauen des Einzugsgebietes mitunter nächtelang an der einzigen verbliebenen Entnahmestelle, einem aufgeschnittenen Rohr sitzen und Wasser von zweifelhafter Qualität in ihre Wasserbehälter füllen. Um zumindest das Speichervolumen der Quellfassung kurzfristig etwas zu erhöhen, haben wir während unseres Aufenthalts die größten Löcher der Speicherkammer in Bodennähe provisorisch geschlossen.
Unser zweiter Besuch galt der staatlichen Quelle von Beaumont, dessen Wasser als Trinkwasser von potenziell 20.000 Einwohnern genutzt wird. Aber auch hier scheint es seit längerem Probleme mit der Bereitstellung der notwendigen Wassermengen zu geben. Nichts destotrotz haben wir uns von diesem Besuch ein besseres Verständnis erhofft, wie eine funktionierende Quellfassung in Haiti auszusehen hat. Nach einer längeren Wanderung durch unwegsames Gelände mussten wir jedoch mit großer Verwunderung feststellen, dass die Quellfassung ihr Wasser vielmehr aus einem kleinen oberflächlichen und offenliegendem Bach entnimmt und nicht direkt an eine Quelle platziert wurde. Vor dem Hintergrund, dass einer ganzen Kleinstadt dieses Wasser als Trinkwasser kostenpflichtig angeboten wird, erscheint diese Quelle bereits aus hygienischer Sicht sehr bedenklich und kann uns nicht als Vorbild dienen.
Nach diesen Eindrücken haben wir begonnen, vor Ort erste Konzepte für eine wirksame Reparatur der Quellfassung in unmittelbarer Nähe zum Waisenhaus zu entwickeln und die Machbarkeit im Rahmen eines neuen EWB-Projekts abzuschätzen. Schließlich waren wir von der Notwendigkeit unserer Hilfe so überzeugt und sahen ideale Voraussetzungen für ein neues Projekt, dass wir schon in Haiti in Abstimmung mit den EWBlern in Karlsruhe den Entschluss gefasst haben, Anke Brügmann und ihren Verein zu unterstützen. Zurück in Deutschland hat sich auch sehr schnell eine motivierte Gruppe gefunden, welche einen ersten Ad-Hoc-Bauabschnitt im Frühjahr 2015 vorbereitet um mit einem kleinen Team die drängendsten Wasserprobleme zu lösen.
Wir freuen uns daher sehr, durch unsere Ingenieursarbeit bereits in naher Zukunft einen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation der Waisenkinder in Beaumont leisten zu können.
Zeitgleich bereiten wir ein weiteres, langfristiges Projekt vor, indem wir Pwojè men kontre bei dem geplanten Neubau der Schule in einer geschützten Region Beaumonts unterstützen möchten. Ein erstes Treffen im November 2014 mit Dr. Anke Brügmann in Karlsruhe hat gezeigt, dass die Kompetenzen vieler Bauingenieure innerhalb unseres Vereins im Bereich der Bauplanung und Bauleitung dringend benötigt werden. Gerne nehmen wir diese Herausforderung an und freuen uns auf die zukünftige enge Zusammenarbeit.
Grüße,
Martin, Fred und Myri